Dienstag, 30. Januar 2007

Allegorisches Sonett – Christian Hoffman von Hoffmannswaldau

Allegorisches Sonett

Amanda, liebstes Kind, du Brustlatz kalter Herzen,
Der Liebe Feuerzeug, Goldschachtel edler Zier,
Der Seufzer Blasebalg, des Trauerns Löschpapier,
Sandbüchse meiner Pein und Baumöl meiner Schmerzen,

Du Speise meiner Lust, du Flamme meiner Kerzen,
Nachtstühlchen meiner Ruh, der Poesie Klistier,
Des Mundes Alekant, der Augen Lustbrevier,
Der Komplimenten Sitz, du Meisterin der Scherzen.

Der Tugend Quodlibet, Kalender meiner Zeit,
Du Andachtsfackelchen, du Quell der Fröhlichkeit,
Du tiefer Abgrund du voll tausend guter Morgen,

Der Zungen Honigseim, des Herzens Marzipan,
Und wie man sonsten dich mein Kind beschreiben kann.
Lichtputze meiner Not und Flederwisch der Sorgen.

Inhalt und Form:

Der strengen äußeren Form dieses Sonetts ähnelt auch sein syntaktischer Bau und sein überlegter inhaltlicher Aufbau. Jeder Teil hat eine bestimmte Aufgabe. So wird in den Quartetten durch die Darstellung gleichbedeutender Aussagen das Thema des Gedichtes aufgestellt. In den Terzetten kommt es zu einer zusammenfassenden Auswertung des Quartetten Inhaltes. So beschreibt das lyrische Ich in dieser Ode an Amanda durch Verwendung naturalistischer Bilder, die kontrastreich gegenübergestellt werden die Anbetung der Geliebten. Durch die strenge Form des Sonetts ist ein gedanklich klarer Aufbau erforderlich, sodass die Thematik begrenzt wird auf ein Thema und zwar die Liebe.

Der Titel nimmt auf zweierlei Bezug auf das Gedicht. So wird in diesem Sonett vorwiegend die Allegorie verwendet, also die Verbildlichung vom Abstrakten, wobei meistens die Personifizierung benutzt wird. Dieses Sonett gehört zur Gattung der Liebeslyrik daher findet man eine Rhetorisierung der Sprache, gesteigert Bildhaftigkeit meistens Jamben. Wobei hier als jambisches Versmaß der Alexandriner verwendet wurde. Der umarmende Reim in den Quartetten, der Paarreim in der ersten Terzett und der umarmender Reim im letzten Vers der dritten Strophe mit letzter Strophe unterstützen den inhaltlichen Aufbau.

in erster und letzter Zeile der Quartette => Alexandriner, also 13 Silben mit einem weiblichem Ausgang, d.h. gerade Anzahl der Silben des letzten Wortes des Verses

in zweiter und dritter Zeile der Quartette => Alexandriner, also 12 Silben mit einem männlichem Ausgang, d.h. ungerade Anzahl der Silben des letzten Wortes des Verses

in erster und zweiter Zeile der Terzetten => Alexandriner, also 12 Silben mit einem männlichem Ausgang, d.h. ungerade Anzahl der Silben des letzten Wortes des Verses

in letzter Zeile der Terzetten => Alexandriner, also 13 Silben mit einem weiblichem Ausgang, d.h. gerade Anzahl der Silben des letzten Wortes des Verses

=> Silbenanzahl harmoniert mit Reimschema

Das lyrische Ich beschreibt die geliebte Amanda (Amanda => Gerundivum, substantivisch => Dopplung, dadurch Steigerung) mit Vergleichen (Ellipse: weglassen des Verbs =>Vergleich tritt in den Vordergrund). Diese Allegorie mit mehreren Gegenständen schafft einen Vergleich der Wertigkeit Amandas, die ausschließlich angesprochen wird. (Anapher: Z. 2/3 Der Z. 10/11 Du => Betonung auf Amandas Beschreibung) Dabei tauchen verstärkt Wörter des Wortfeldes Feuer auf, das symbolisch für Liebe steht. In der ersten Strophe legt das lyrische Ich nahe, das die Liebe zu Amanda noch frisch wie die Flamme eines Feuerzeugs ist, und eine Kostbarkeit darstellt. In der nächsten Strophe hat sich diese allgemeine Verliebtheit in eine brennende Liebe entwickelt, wobei sich das lyrische Ich in der Nähe der Geliebten sehr wohl fühlt. Die anscheinend befremden wirkende Antithese: Poesie Klistier, soll nur verdeutlichen, wie angenehm oder befreiend ihre Gegenwart ist.

In der ersten Terzett scheinen die Liebenden schon länger zusammenzuleben. Das lyrische Ich besinnt sich diesem harmonischen Miteinander. In der letzten Strophe hofft das lyrische Ich diesen Zustand solange wie möglich zu erhalten.

Dienstag, 19. Dezember 2006

Glennkill – Ein Schafskrimi - Eine Leseprobe

Gestern war er noch gesund«, sagte Maude. Ihre Ohren zuckten

nervös.

»Das sagt gar nichts«, entgegnete Sir Ritchfield, der älteste

Widder der Herde, »er ist ja nicht an einer Krankheit gestorben.

Spaten sind keine Krankheit.«

Der Schäfer lag neben dem Heuschuppen unweit des Feldweges

im grünen irischen Gras und rührte sich nicht. Eine einzelne

Krähe hatte sich auf seinem wollenen Norwegerpullover

niedergelassen und äugte mit professionellem Interesse in sein

Innenleben. Neben ihm saß ein sehr zufriedenes Kaninchen.

Etwas entfernter, nahe der Steilküste, tagte die Konferenz der

Schafe.

Sie hatten Ruhe bewahrt, als sie ihren Schäfer an diesem Morgen

so ungewohnt kalt und leblos vorgefunden hatten, und sie

waren sehr stolz darauf. Natürlich hatte es im ersten Schrecken

ein paar unüberlegte Rufe gegeben:»Wer bringt uns jetzt Heu?«

etwa, oder »Ein Wolf! Ein Wolf!« Aber Miss Maple hatte schnell

dafür gesorgt, dass keine Panik ausbrach. Sie erklärte, dass mitten

im Sommer auf der grünsten und fettesten Weide Irlands sowieso

nur Dummköpfe Heu fressen würden und dass selbst die raffiniertesten

Wölfe ihren Opfern keinen Spaten durch den Leib

jagten. Und ein solches Gerät ragte ganz zweifellos aus den morgenfeuchten

Innereien des Schäfers.

Miss Maple war das klügste Schaf von ganz Glennkill. Manche

behaupteten sogar, sie sei das klügste Schaf der Welt. Doch

niemand konnte das nachweisen. Es gab zwar einen jährlichen

Smartest-Sheep-of-Glennkill-Contest, doch Maples außerordentliche

Intelligenz erwies sich gerade darin, dass sie an solchen

Wettbewerben nicht teilnahm. Der Gewinner verbrachte nach

seiner Krönung mit einem Kranz aus Klee (den er anschließend

fressen durfte) mehrere Tage auf einer Tournee durch die

Pubs der angrenzenden Orte. Dort musste er immer wieder das

Kunststück aufführen, das ihm irrtümlich seinen Titel eingebracht

hatte, blinzelte in den Tabaksqualm, bis ihm die Augen

tränten, und wurde von den Menschen so lange mit Guinness

abgefüllt, bis er nicht mehr richtig stehen konnte. Außerdem

machte ihn von da an sein Schäfer für jeden Schabernack verantwortlich,

der auf der Weide geschah:Der Schlauste war immer

der Hauptverdächtige.

George Glenn würde nie wieder ein Schaf für etwas verantwortlich

machen. Er lag aufgepfählt nahe des Feldwegs, und seine

Schafe beratschlagten, was nun zu tun sei. Sie standen zwischen

dem wasserblauen Himmel und dem himmelblauen Meer an der

Steilküste, wo man das Blut nicht riechen konnte, und fühlten

sich verantwortlich.

»Er war kein besonders guter Schäfer«, sagte Heide, die noch

fast ein Lamm war und die nicht vergessen konnte, dass George

nach dem Winter ihren stattlichen Lämmerschwanz kupiert

hatte.

»Genau!« Das war Cloud, das wolligste und prächtigste Schaf,

das man sich vorstellen konnte. »Er hat unsere Arbeit nicht geschätzt.

Die norwegischen Schafe machen es besser! Die norwe-

gischen Schafe haben mehr Wolle! Er hat sich Pullover von fremden

Schafen aus Norwegen schicken lassen – eine Schande,welcher

andere Schäfer hätte seine Herde so gekränkt!«

Es entspann sich eine längere Diskussion zwischen Heide,

Cloud und Mopple the Whale. Mopple the Whale bestand darauf,

dass die Güte eines Schäfers sich schließlich an Futtermenge

und -qualität erweisen würde und dass es hier nichts, aber auch

gar nichts gegen George Glenn zu sagen gäbe. Schließlich einigte

man sich darauf, dass der ein guter Schäfer sei, der niemals den

Lämmern die Schwänze kupiert, keinen Schäferhund einstellt,

Futter in Hülle und Fülle verabreicht, vor allem Brot und Zucker,

aber auch gesunde Sachen wie Kräuter, Kraftfutter und

Rüben (ja, sie waren alle sehr vernünftig) und sich ganz und gar

in die Produkte seiner eigenen Herde kleidet, etwa mit einem

Ganzkörperfell aus gesponnener Schafswolle. Das würde dann

sehr schön aussehen, beinahe so, als sei er auch ein Schaf. Natürlich

war allen klar, dass ein solch vollkommenes Wesen auf der

ganzen Welt nicht zu finden war. Aber ein schöner Gedanke war

es trotzdem. Man seufzte ein bisschen und wollte dann wieder

auseinander gehen, hochzufrieden damit, alle offenen Fragen geklärt

zu haben.

Doch bisher hatte sich Miss Maple noch nicht an der Diskussion

beteiligt. Jetzt sagte sie:»Wollt ihr denn gar nicht wissen,

woran er gestorben ist?«

Sir Ritchfield sah sie erstaunt an. »Er ist an dem Spaten gestorben.

Du hättest das auch nicht überlebt, so ein schweres Eisending

mitten durch den Leib. Kein Wunder, dass er tot ist.« Ritchfield

schauderte ein bisschen.

»Und woher der Spaten?«

»Jemand hat ihn hineingesteckt.« Für Sir Ritchfield war die

Sache damit erledigt,aber Othello,das einzige schwarze Schaf der

Herde, begann auf einmal, sich für das Problem zu interessieren.

»Nur ein Mensch kommt in Frage – oder ein sehr großer

Affe.« Othello hatte eine bewegte Jugend im Zoo von Dublin

verbracht und versäumte es nie, bei Gelegenheit darauf anzuspielen.

»Ein Mensch.« Maple nickte zufrieden. Die Zahl der Verdächtigen

ging rapide zurück. »Ich denke, wir sollten herausfinden,

was das für ein Mensch war. Das sind wir dem alten George

schuldig.Wenn ein wilder Hund eines unserer Lämmer gerissen

hatte, versuchte er auch immer, den Schuldigen zu finden.

Außerdem gehörte er uns. Er war unser Schäfer.Keiner hatte das

Recht, einen Spaten in ihn zu stecken. Das ist Wolferei, das ist

Mord!«

Jetzt waren die Schafe doch erschrocken.Auch der Wind hatte

gedreht, und der frische Blutgeruch zog in feinen, aber deutlich

wahrnehmbaren Witterungsfäden Richtung Meer.

»Und wenn wir den Spatenstecker gefunden haben?«, fragte

Heide nervös. »Was dann?«

»Gerechtigkeit!«, blökte Othello.

»Gerechtigkeit!«,blökten die anderen Schafe.Damit war es beschlossene

Sache, dass die Schafe von George Glenn den gemeinen

Mord an ihrem einzigen Schäfer aufklären würden.

Zuerst ging Miss Maple die Leiche besichtigen. Gerne tat sie es

nicht. In der irischen Sommersonne hatte George schon begonnen,

einen Verwesungsgeruch auszuströmen, der ausreichte, um

jedem Schaf einen Schauer über den Rücken zu jagen.

Anfangs umkreiste sie den Schäfer in respektvollem Abstand.

Die Krähe krächzte missbilligend und flatterte auf schwarzen

Flügeln davon. Maple wagte sich näher heran, betrachtete den

Spaten, schnupperte an Kleidern und Gesicht. Schließlich – die

in sicherer Entfernung zusammengeballte Herde hielt den Atem

an – steckte sie sogar ihre Schnauze in die Wunde und wühlte

darin herum. Zumindest sah es von weitem danach aus. Mit blutiger

Nase kehrte sie zu den anderen zurück.

»Und?«, fragte Mopple, der die Spannung nicht mehr aushielt.

Mopple hielt Spannung nie besonders lange aus.

»Er ist tot«,antwortete Miss Maple.Mehr schien sie im Augenblick

nicht sagen zu wollen. Dann blickte sie in Richtung Feldweg.

»Wir müssen bereit sein. Früher oder später werden Menschen

hierher kommen.Wir müssen beobachten,was sie tun, aufpassen,

was sie erzählen. Und wir sollten nicht so verdächtig herumstehen,

alle auf einem Haufen.Wir sollten uns natürlich benehmen.«

»Aber wir benehmen uns doch natürlich«, wandte Maude

ein. »George ist tot und ermordet. Sollen wir etwa in seiner Nähe

weiden, dort,wo das Gras noch mit Blut bespritzt ist?«

»Ja. Genau das sollten wir tun.« Othello trat schwarz und entschlossen

zwischen ihnen hervor. Er verengte die Nüstern, als er

die entsetzten Gesichter der anderen sah.»Keine Angst,ich werde

es tun. Ich habe meine Jugend neben dem Raubtiergehege verbracht,

ein bisschen mehr Blut wird mich nicht umbringen.« In

diesem Augenblick dachte Heide, dass Othello ein ganz besonders

verwegener Widder sei, und beschloss, zukünftig häufiger in

seiner Nähe zu grasen – selbstverständlich erst,wenn George verschwunden

war und ein frischer Sommerregen die Wiese reingewaschen

hatte.

Miss Maple verteilte die Wachen. Sir Ritchfield, der trotz seines

Alters noch gute Augen hatte, postierte sie auf dem Hügel.

Von dort konnte man über die Hecken hinweg bis zur Asphaltstraße

sehen. Mopple the Whale hatte schlechte Augen, aber ein

gutes Gedächtnis. Er stand neben Ritchfield und sollte sich alles

merken, was dieser beobachtete. Heide und Cloud überwachten

den Fußpfad, der quer über ihre Wiese führte: Heide bezog

Posten am Tor Richtung Dorf, Cloud dort,wo der Weg in einer

Senke verschwand. Zora, ein schwarzköpfiges Schaf ohne Höhenangst,

stellte sich auf einen schmalen Felsvorsprung an den

Steilklippen und beobachtete von dort aus den Strand. Zora behauptete,

dass es unter ihren Vorfahren ein wildes Bergschaf gegeben

hatte, und wenn man sah, wie sorglos sie sich über dem

Abgrund bewegte, konnte man es beinahe glauben.

Othello verschwand im Schatten des Dolmengrabes unweit

der Stelle,wo der Spaten George auf den Boden pinnte.Von dort

konnte er bei Bedarf jederzeit unauffällig hervorweiden. Miss

Maple nahm nicht an der Beobachtung teil. Sie blieb am Wassertrog

stehen und versuchte, sich die Blutspuren von der Nase zu

waschen.

Der Rest verhielt sich natürlich.

Wenig später kam Tom O’Malley, nicht mehr ganz nüchtern,

den Fußweg von Golagh nach Glennkill entlang, um auch dem

hiesigen Pub einen Besuch abzustatten. Die frische Luft tat ihm

gut, das Grün, das Blau.Möwen jagten sich kreischend ihre Beute

ab, so schnell, dass ihm davon schwindlig wurde. Georges Schafe

grasten friedlich vor der herrlichen Aussicht. Malerisch.Wie aus

einem Prospekt. Ein Schaf hatte sich besonders weit vorgewagt

und thronte wie ein kleiner weißer Löwe direkt am Abhang.Wie

war es da wohl hingekommen?

»He, Schäfchen«, sagte Tom, »fall da bloß nicht runter.

Wäre doch schade, wenn so ein Hübsches wie du abstürzen

würde.«

Das Schaf sah ihn verächtlich an, und auf einmal kam er sich

blöd vor. Blöd und besoffen. Aber damit war jetzt Schluss. Er

würde es zu etwas bringen. In der Tourismusbranche. Im Tourismus

lag die Zukunft von Glennkill. Er musste das gleich mit den

Jungs im Pub besprechen.

Vorher wollte er sich nur noch schnell den prächtigen schwarzen

Widder näher ansehen. Vier Hörner.Wirklich ungewöhnlich.

Georges Schafe waren schon etwas Besonderes.

Der Schwarze ließ ihn aber nicht nahe genug herankommen,

sondern wich mühelos seiner Hand aus, ohne sich dabei viel zu

bewegen.

Dann sah Tom den Spaten.

Ein guter Spaten. So einen hätte er auch gebrauchen können.

Und niemand da, dem er zu gehören schien. Er beschloss, ihn zukünftig

als seinen Spaten zu betrachten. Jetzt wollte er ihn unter

dem Dolm verstecken, und nachts würde er wiederkommen und

ihn holen. Der Gedanke, nachts an den Dolm zu gehen, gefiel

ihm nicht besonders. Man erzählte sich Geschichten. Aber er war

ein moderner Mensch, und das war ein ausgezeichneter Spaten.

Als er seine Hand um den Griff legte, stieß sein Fuß gegen etwas

Weiches.

An diesem Nachmittag hörte man Tom O’Malley im Mad

Boar zum ersten Mal seit langer Zeit wieder aufmerksam zu.

Bald darauf sah Heide ein kleines Grüppchen Menschen im

Laufschritt den Weg aus dem Dorf heraufkommen. Sie blökte

kurz, lang, nochmals kurz, und Othello tauchte etwas unwillig

unter dem Dolmengrab auf.

Voran ging ein spinnendünner Mann, den die Schafe nicht

kannten. Sie betrachteten ihn aufmerksam. Der Anführer ist immer

wichtig.

Hinter ihm kam der Metzger. Die Schafe hielten den Atem an.

Der Metzger war fürchterlich. Allein sein Geruch reichte aus,um

jedem Schaf die Knie zittrig zu machen. Der Metzger roch nach

qualvollem Tod. Nach Schreien, Schmerz und Blut. Sogar die

Hunde hatten Angst vor ihm.

Die Schafe hassten den Metzger. Und sie liebten Gabriel,

der dicht hinter ihm ging, ein kleiner Mann mit struppigem Bart

und Schlapphut, der seine Schritte schnell setzte, um von dem

Fleischberg vor ihm nicht abgehängt zu werden. Sie wussten,warum

sie den Metzger hassten.Warum sie Gabriel liebten, wussten

sie nicht. Er war einfach unwiderstehlich. Seine Hunde führten

die phantastischsten Kunststücke auf. Jedes Jahr gewann er

den großen Hütewettbewerb in Gorey. Die Menschen hatten

großen Respekt vor ihm. Es hieß, er könne mit den Tieren sprechen,

doch das stimmte nicht. Die Schafe zumindest verstanden

nichts von Gabriels gälischem Gemurmel. Aber sie fühlten sich

berührt, geschmeichelt und zuletzt verführt und trabten vertrauensvoll

in seine Nähe,wenn er auf dem Feldweg an ihrer Weide

vorbeilief.

Jetzt hatten die Menschen die Leiche fast erreicht. Die mutigeren

unter den Schafen vergaßen für einen Augenblick, natürlich

auszusehen,und reckten gespannt die Hälse.Einige Lämmersprünge

vor George blieb der dünne Anführer wie angewurzelt stehen.

Seine lange Gestalt schwankte einen Moment wie ein Zweig im

Wind, doch seine Augen waren starr wie Nadeln auf den Punkt

geheftet, an dem der Spaten Georges Eingeweide verließ.

Auch Gabriel und der Metzger blieben in einiger Entfernung

von der Leiche stehen. Der Metzger blickte einen Moment lang

zu Boden. Gabriel nahm die Hände aus den Hosentaschen. Nun

riss der Dürre seine Augen von George los und fischte sich mit

einer halbherzigen Geste die Mütze vom Kopf. Der Metzger

sagte etwas. Seine fleischigen Hände waren zu Fäusten geballt.

Othello weidete kühn vorbei.

Dann hatte es, schnaufend und prustend, mit knallrotem Gesicht

und wirren roten Haaren, auch Lilly den Fußpfad hinauf

geschafft, und mit ihr eine Wolke von künstlichem Fliederduft.

Als sie George sah, stieß sie einen kleinen, spitzen Schrei aus.

Die Schafe sahen ihr gelassen zu. Lilly kam manchmal in den

Dämmerungsstunden auf die Weide und stieß bei jeder Gelegenheit

ihre kleinen, spitzen Schreie aus.Wenn sie in ein Häufchen

Schafsköttel getreten war.Wenn ihr Rock an einer Hecke

hängenblieb.Wenn George etwas sagte, was ihr nicht gefiel. Die

Schafe hatten sich daran gewöhnt. Sobald George und Lilly dann

für kurze Zeit im Schäferwagen verschwanden, kehrte wieder

Ruhe ein. Lillys seltsame Schreie machten ihnen keine Angst

mehr.

Doch dann wehte der Wind plötzlich einen jämmerlichen,

lang gezogenen Laut über die Weide. Mopple und Cloud verloren

die Nerven und galoppierten auf den Hügel,wo sie sich verschämt

darum bemühten, wieder natürlich auszusehen.

Lilly war direkt neben der Leiche auf die Knie gefallen,

ohne sich um das nachtregenfeuchte Gras zu kümmern, und stieß

diese schrecklichen Töne aus. Ihre Hände wanderten wie zwei

verwirrte Insekten über den Norwegerpulli und Georges Jacke

und zerrten an seinem Kragen.

Dann war auf einmal der Metzger bei ihr und riss sie grob am

Arm zurück. Die Schafe hielten den Atem an. Der Metzger hatte

sich schnell wie eine Katze bewegt. Jetzt sagte er etwas. Lilly sah

ihn an, als sei sie gerade aus einem tiefen Schlaf gerüttelt worden.

In ihren Augen schwammen Tränen. Sie bewegte die Lippen,

aber kein Laut wehte über die Weide. Der Metzger antwortete

etwas. Dann packte er Lilly am Ärmel und zog sie auf die Seite,

ein gutes Stück von den beiden anderen Männern weg. Der

Dürre begann sofort, auf Gabriel einzureden.

Othello blickte sich Hilfe suchend um:Wenn der Widder bei

Gabriel blieb, verpasste er das, was sich zwischen dem Metzger

und Lilly abspielte – und umgekehrt. Die meisten Schafe erkannten

das Problem, aber keiner hatte Lust, sich der Leiche oder dem

Metzger zu nähern, die beide nach Tod rochen. Sie konzentrierten

sich lieber auf ihre Aufgabe, natürlich auszusehen.

Da kam Miss Maple vom Wassertrog getrabt und übernahm die

Beobachtung des Metzgers. Auf ihrer Nase saß noch immer ein

verdächtiger rötlicher Fleck, aber sie hatte sich im Schlamm gewälzt

und sah jetzt einfach nur wie ein sehr schmutziges Schaf

aus.

»…widerlich«, sagte der Metzger gerade zu Lilly. »Dein Theater

kannst du dir jedenfalls sparen. Glaub mir, du hast jetzt ganz

andere Sorgen, Schätzchen.« Er hatte sie mit seinen wurstigen

Fingern am Kinn gefasst und hob ihren Kopf ein wenig an, so

dass sie ihm direkt in die Augen blicken musste. Lilly lächelte

besänftigend.

»Warum sollte mich jemand verdächtigen?«, fragte sie und versuchte,

den Kopf freizubekommen. »George und ich sind doch

immer gut miteinander ausgekommen.«

Der Metzger hielt sie unbeirrt am Kinn fest. »Gut miteinander

ausgekommen.Genau.Das genügt denen schon.Wer ist denn

sonst gut mit George ausgekommen? Warte nur auf das Testament,

dann wird man sehen, wie gut ihr miteinander ausgekom-

men seid. Du hast nicht besonders viel Geld,was? Der Kosmetikkram

wirft nicht gerade ein Vermögen ab, und mit dem Gehure

kommt man in unserem Nest auch nicht weit. Aber komm nur

zu Ham, dann brauchst du dir um diese Schweinerei hier keine

Sorgen mehr zu machen.«

Gabriel rief etwas. Ham drehte sich abrupt um und stapfte zurück

zu den anderen. Lilly ließ er stehen. Das Lächeln fiel von

ihrem Gesicht. Sie zog ihren Schal enger um die Schultern und

schüttelte sich. Einen Augenblick sah es aus, als würde sie weinen.

Maple konnte sie gut verstehen. Vom Metzger angefasst zu

werden – das musste sein, als hätte einen der Tod am Ohr gezupft.

Wieder flogen Worte zwischen den vier Menschen hin und

her, doch die Schafe waren zu weit entfernt, um etwas davon zu

verstehen. Dann folgte ein lautes, verlegenes Schweigen. Gabriel

drehte sich um und schlenderte zurück Richtung Dorf, den

Dünnen dicht auf den Fersen. Lilly schien einen Augenblick zu

überlegen, dann hastete sie hinter den beiden Männern her.

Ham beachtete die anderen nicht. Er war direkt vor George

hingetreten. Eine seiner Metzgerspranken hob sich langsam, bis

sie wie eine fette Fleischfliege direkt über der Leiche schwebte.

Dann malten die Finger des Metzgers zwei Linien über George

in die Luft. Eine lange, die von Georges Kopf bis zu seinem

Bauch führte, und eine kürzere von Schulter zu Schulter, so dass

sich beide Linien kreuzten. Erst als Gabriel nochmals nach ihm

rief, trottete auch der Metzger Richtung Dorf.

Später kamen drei Polizisten und machten Fotos. Sie brachten

eine parfümierte Journalistin mit, die auch Fotos machte, sehr

viel mehr als die Polizisten. Sie ging sogar bis an die Klippen

und fotografierte Zora auf ihrer Felsnase, später Ritchfield und

Mopple, die vor dem Dolm weideten. Die Schafe waren zwar die

gelegentliche Aufmerksamkeit von Rucksacktouristen gewohnt,

aber das Interesse der Presse wurde ihnen schnell unangenehm.

Mopple verlor als Erster die Nerven und floh laut blökend auf

den Hügel. Die anderen ließen sich von der Panik anstecken und

folgten, selbst Miss Maple und Othello. In wenigen Augenblicken

hatten sie sich alle auf dem Hügel zusammengeballt und

schämten sich ein bisschen.

Die Polizisten beachteten die Schafe nicht. Sie zogen den Spaten

aus George, verpackten beide in große Plastiktüten, krochen

noch ein wenig auf dem Boden herum und verschwanden dann

in einem weißen Auto, das davonfuhr. Kurz darauf begann es zu

regnen. Bald sah die Weide aus, als sei nie etwas geschehen.

Die Schafe beschlossen, sich in den Heuschuppen zurückzuziehen.

Sie gingen alle gemeinsam, denn jetzt, so kurz nach

Georges Tod, kam ihnen der Schuppen ein wenig düster und

unheimlich vor. Nur Miss Maple blieb etwas länger draußen im

Regen stehen und ließ sich den Schlamm und endlich auch den

Blutfleck abwaschen.

Als sie in den Schuppen trat, hatten sich die Schafe um Othello

zusammengedrängt.Sie bestürmten ihn mit Fragen,aber der Widder

wartete ab. Heide blökte aufgeregt:

»Wie hast du es nur ausgehalten, so dicht neben dem Metzger.

Ich wäre gestorben vor Angst, ich bin auch so fast vor Angst gestorben,

als ich ihn nur den Fußpfad heraufkommen sah!«

Miss Maple verdrehte die Augen. Aber man musste dem

schwarzen Widder zugute halten, dass er der uneingeschränkten

Bewunderung seiner Herde herzlich unbeeindruckt gegenüberstand.

Sehr sachlich wandte er sich an Miss Maple.

»Der Metzger hat zuerst gesprochen.›Schweine!‹,hat er gesagt.«